Der frühe Vogel fängt die Beere
Der Winter bricht ein – die Vögel brechen auf. Jahr für Jahr nimmt so die Flucht vor dem Frost ihren Lauf. Was überdauert, ist der harte Kern derjenigen, die der Heimat auch bei aller Kälte erhalten bleiben. Mit den fallenden Temperaturen fällt jedoch auch der Startschuss für einen Wettlauf, bei dem es heißt: Der frühe Vogel fängt die Beere. Innerhalb eines einzigen Tages vermag ein Schwarm Vögel eine Eberesche komplett abzuräumen. Schnell sein lohnt sich also, denn was wir der sogenannten Vogelbeere abgewinnen können, ist die Eile wert.
Von August bis September reifend, wachsen die Vogelbeeren an der bis zu 15 Meter hohen Eberesche, die nahezu auf dem gesamten europäischen Kontinent und sogar bis nach Sibirien verbreitet ist. Bei Büschen, Hecken und inmitten lichter Wälder findet sich der Baum, dessen Früchte aus botanischer Sicht eigentlich kleine Äpfel sind.
Angeordnet in dichten Büscheln vor dem kräftig-grünen Blattwerk des Baumes sprenkeln die leuchtend roten Beeren die Eberesche in einer Weise, die einen glauben lässt, sie wären gemalt. „Ein einziger der glühenden Bäume könnte schon das Glück des Spätsommers ausmachen“, schrieb etwa die Autorin Else Lasker-Schüler in ihrem Text „Die Eberesche“.
Besonders bezaubernd sind die roten Beeren jedoch vor der weißen Kulisse einer schneeverhangenen Landschaft – sofern es so weit kommt, denn idealerweise pflückt man sie nach dem ersten Frost. Dieser verleiht den andernfalls säuerlich-bitteren Beeren eine leicht süße Note. Entgegen der verbreiteten Auffassung ist die Vogelbeere nämlich nicht giftig, sondern lediglich schwer genießbar und verdaulich. Aufgrund der in ihnen enthaltenen Parasorbinsäure kann der Verzehr der rohen Beeren Magenprobleme zur Folge haben. Jene Säure vermag die Kälte abzubauen. Denselben Effekt hat es, die Beeren zu kochen. Wer sich allerdings vor den gefiederten ´Fressfeinden´ einen Vorsprung verschaffen will, der muss nicht auf den Frost warten, sondern kann die Beeren auch schon eher ernten und in den Tiefkühler legen.
Fertig und verzehrfertig lassen sich die Beeren hervorragend weiterverarbeiten. Ob als Marmelade, Konfitüre, Mus oder Chutney, als Saft, Likör, Wein oder Schnaps – die Möglichkeiten sind schier grenzenlos. Ausgerechnet der Schnaps ist aufgrund der geringen Ausbeute beim Brennen allerdings ausgesprochen teuer und begehrt.
Über die bloße Beere hinaus lassen sich sämtliche Teile des Baumes verwenden. So sollen die mit Milch und Honig aufgekochten Blüten der Eberesche einen wohltuendes Erkältungsgetränk für Kinder; die mit heißem Wasser aufgegossenen Blätter ein bewährtes Mittel bei Magenbeschwerden sein.
Neben Gerbstoffen, Carotinen und ätherischen Ölen enthalten die Beeren reichlich Vitamin C, was ihnen unter anderem den Ruf als wirksames Mittel gegen die Seefahrerkrankheit Skorbut einbrachte. Verzehrt man sie in kleiner Zahl, sollen die Beeren auch bei Rheuma und Gicht Abhilfe schaffen, sowie einen grünen Star, Prostataleiden und Mandelentzündungen kurieren können. Menschen mit beanspruchter Stimme sei ein Tee der Beeren empfohlen. Für diesen gieße man einen Esslöffel getrockneter und zerkleinerter Beeren mit einer Tasse heißen Wassers auf.
Nicht zuletzt erfreut sich auch das Holz der Eberesche großer Beliebtheit und wird seit jeher als besonders schützenswert angesehen: Der Überlieferung zufolge droht demjenigen der Tod, der eine Eberesche fällt, sofern der Stamm dicker ist als dessen Hals. Aufgrund seiner Stabilität wurde das Holz unter anderem zur Herstellung von Wagenrädern und im Kunsthandwerk verwendet.
Wenn Sie jetzt auf den Geschmack gekommen sind, sich der Eberesche einmal anzunehmen, lassen Sie uns Ihnen zum Abschluss noch ein Stück Kultur ins Ohr legen: Ende des 19. Jahrhunderts widmete Max Schreyer der Pflanze mit „Dar Vuglbärbaam“ ein Lied in erzgebirgischer Mundart.
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